Kleinunternehmen im Umgang mit COVID-19. Best practice Beispiel in der Corona-Virus-Krise

Schritte und Maßnahmen aus der Perspektive eines Familienunternehmens und eines Führungscoaches.

Von Marc Albin Alge und Alfred Essenwanger am 17.03.2020

Was tun, wenn als Unternehmen die gewohnte Unsicherheit plötzlich durch eine völlig neuartige Unsicherheit ersetzt wird? Wenn statt gewohnter Risiken ein unvorhergesehenes Ereignis – ein schwarzer Schwan – die bisher etablierten Maßnahmen überflüssig werden lässt?

Neben einem kühlen Kopf und dem Vertrauen auf die eigenen Qualitäten sind Führungsstärke und langfristige Planung in solchen Momenten von besonderem Nutzen. Wie eine mögliche Herangehensweise zur gleichzeitigen Sicherung von Gesundheit und Arbeitsplätzen der MitarbeiterInnen aussehen kann, wollen wir Ihnen mit den folgenden Zeilen näher bringen.

Die Agenda des Textes ist folgende:

  • Kleinunternehmen, COVID-19 – und jetzt?
  • Anspruch an die Führung
  • Unsicherheit – Umgang mit Angst und Risiko
  • Konkrete Maßnahmen in der Krise – ein best practice Beispiel
  • Aussicht auf das „Leben nach der Krise“

Kleinunternehmen, COVID-19 – und jetzt?

Dass der Erreger SARS-CoV-2 und seine Folgeerscheinung COVID-19 mittlerweile die Wirtschaft erreicht und nachhaltigen Schaden verursacht, ist nach den letzten Tagen schwer zu bestreiten.

Neben Kleinstunternehmen und vielen Unternehmen im B2C-Bereich stellt diese Situation gerade für kleine Unternehmen mit MitarbeiterInnenzahlen im zweistelligen Bereich eine besondere Herausforderung dar. Der Kontakt ist eng, die Kommunikationswege kurz. Was sonst für Vorteile sorgt, birgt plötzlich Gefahren. Denn: eine verifizierte Covid-19-Erkrankung kann potentiell eine  komplette Betriebsschließung nach sich ziehen. Und es geht ja nicht nur um den Betrieb, sondern in erster Linie um unser aller Gesundheit.

Um im Bild zu bleiben: ein Spagat, der sowohl überstürzten, als auch unterlassenen Handlungen die Krone aufsetzen mag.

Doch vielleicht ist es vorschnell, die eben erwähnten Gefahren rein als solche zu klassifizieren. Man könnte schließlich einwenden, dass gerade kleine Unternehmen, insbesondere Familienunternehmen, aufgrund der Nähe, der persönlichen Bekanntheit untereinander und dem Austausch mit teilweise langjährigen MitarbeiterInnen einen leichten Startvorteil genießen. Immerhin: man weiß, wie man „tickt“, kriegt mögliche Sorgen hautnah mit und ist auch für die Belegschaft leichter einzuschätzen als die graue Eminenz im Elfenbeinturm. Auch Botschaften zu vermitteln ist bei einem kleinen Unternehmen durch eine rasch einberufene Betriebsversammlung im vergleichsweise kleinen Kreis einfacher, als bei einem weltweiten Konzern mit unterschiedlichen Standorten, Sprachen und Kulturen.

Die im Folgenden beschriebenen Aspekte sind vor allem aber eines: ein Reflektions- und Erfahrungsbericht eines Familienbetriebes mit möglichen Ansätzen, wie kleine Unternehmen und Familienunternehmen in solchen Zeiten vorgehen können.

 Anspruch an die Führung

„Es gibt nur 2 Tage im Jahr, an denen wir Nichts ändern können – der eine ist Gestern – und der andere ist Morgen (Dalai Lama)“. Das bedeutet für die Führung in KU in diesen stürmischen Zeiten: heute ist der Tag, an dem wir unsere Kompetenzen und Fähigkeiten zeigen und sinnvoll einsetzen können und „müssen“.

Im Vordergrund muss unsere Gesundheit – müssen unsere Mitarbeitenden, unsere Kolleginnen und Kollegen stehen. Dies wird in dieser Viruskrise deutlicher als sonst im operativen Führungsalltag. Sie als Unternehmer haben die Chance, jetzt zu zeigen, dass Ihnen nicht nur Zahlen und Daten wichtig sind, sondern die Menschen in Ihrem Unternehmen, Ihre Kunden und Zulieferer. Es gibt ein Leben nach der Krise – und sinnvolles, menschliches und bewusstes Handeln wird Ihnen nachhaltigen Erfolg UND innere Zufriedenheit bringen. Eine Chance, die sich nicht so oft so deutlich bietet im Leben.

 Unsicherheit

Eine Krise wie wir sie gerade erleben zeichnet sich dadurch aus, dass beinahe stündlich neue Meldungen über ihren Verlauf zu uns durchdringen. Wir können also nur versuchen „up to date“ zu bleiben – aber Niemand kann sicher sagen, was als nächstes passieren wird. Wir sind also Alle unsicher. Drei Verhaltensweisen von Führungskräften werden dazu führen, ihre Autorität zu verlieren, in Zukunft nicht mehr (oder weniger) ernst genommen zu werden und vor allem dazu, nach der Krise weniger erfolgreich zu sein:

  •  Realitätsverweigerung und Verharmlosung

Nach dem Motto: es wird schon nicht so schlimm werden, dieses „Affentheater“ machen wir nicht mit… Ja – zugegeben – die getroffenen schwerwiegenden Maßnahmen zur Verhinderung der weiteren Verbreitung der Epidemie könnten übertrieben sein. Aber wiegt das die Möglichkeit eines Todesfalls oder eines schweren Krankheitsverlaufs in Ihrer Belegschaft aufgrund einer COVID-19 Erkrankung auf? Die exponentielle Verbreitung des Corona Virus‘ bedeutet, dass ein Mensch mehrere weitere Menschen anstecken kann, die dann wiederum ebenfalls jeweils mehrere Menschen anstecken können. Doch wir als Führungskräfte können in besonderem Maße beeinflussen, wie sich die Kurve weiter entwickelt. Es ist deshalb meines Erachtens durchaus sinnvoll, alles zu tun was angemessen ist, um die Mitarbeitenden und Kollegen/innen vor Ansteckung und Krankheit zu schützen.

  •  Schweigen und Distanz

Wer nicht ausreichend informiert und transparent kommuniziert, wird für noch mehr Verunsicherung bei den Mitarbeitenden sorgen, als dies bereits der Fall ist. Manchmal ist es sinnvoll zu sagen: „Ich weiß auch nicht genau, was passieren wird. Wir haben noch nicht überall Lösungen und Alternativen für all das, was im Moment anders ist. Aber wir haben eingehend beraten und diese und jene Entscheidung getroffen. Wir werden die Situation und uns selbst ständig reflektieren und bei Bedarf schnellstmöglich neue Maßnahmen einführen.

Bitte unterstützen Sie unser Vorgehen. Bitte haben Sie Geduld! Sie können darauf vertrauen, dass wir bestmögliche Lösungen finden werden.“

Ihre Mitarbeitenden, Kolleginnen und Kollegen werden Ihnen Ihre Ehrlichkeit danken.

  •  In Panik und Angst ausbrechen

Vor kurzem war ich (Alfred E. Essenwanger, Anm.) Zeuge und Ersthelfer bei einem schweren Unfall mit einem Dreijährigen Kind. Die Mutter war vollkommen verzweifelt und schockiert. Gemeinsam mit einer weiteren Mutter, die mir beim Halten und Versorgen des Kindes half, bis der Hubschrauber eintraf, konnten wir die Mutter beruhigen. Das hat auch dem verletzten Kind unglaublich geholfen.

In Krisensituationen ist es für uns Führungskräfte sinnvoll sich darauf zu besinnen, dass wir eine ausgesprochen große Vorbildwirkung haben – aber lassen Sie uns nicht nur Vorbilder sein („zur Not auch ein schlechtes“ – sagte Einstein), sondern „möglichst“ vorbildlich handeln. Bleiben Sie in der Ruhe. Lassen Sie uns das Licht am Ende des Tunnels nicht in Vergessenheit geraten. Lassen Sie uns positiv und optimistisch bleiben – es wird uns sehr viel helfen, nach der Krise wieder voll durchzustarten!

 Ein wenig abgedroschen, aber wahr: auch diese Krise ist eine Riesenchance! Es ist eine Riesenchance, sich als kompetente Führungskraft zu zeigen und zwar tatsächlich helfend, unterstützend, sicher und vernünftig auftretend.

Und ist es tatsächlich so, dass Betriebe schließen müssen,  geht der Kapitän als letzter vom Schiff. Echte Führungskräfte zeigen sich hier. Dann, wenn sie sich wirklich bis zum Ende um die MitarbeiterInnen kümmern und (besondere Krankheitsfälle natürlich ausgeschlossen) als letzte zuhause bleiben.

 Konkrete Maßnahmen

So wie den Regierungen, stehen auch den Unternehmen Maßnahmen zur Verfügung, um mit der aktuellen Situation umzugehen. Diese ähneln sich überraschend stark: von der Grenzschließung zur Abteilungsschließung ist der gedankliche Sprung nicht weit, ebenso wenig wie jener von der Absage von Großveranstaltungen zur Absage von Sitzungen. Wir haben für Sie vier Eskalationsstufen zusammengefasst, deren Maßnahmen ebenso für sich stehen können wie auch in Kombination auftreten können:

  • Eskalationsstufe I

    • Informationen einholen, ob Mitarbeiter/Innen Kontakt zu Krisenregionen hatten oder sich dort aufgehalten haben
    • Allgemeine Hygiene- und Vorbeugungsmaßnahmen beachten (Händewaschen, 1-m-Abstand im Kontakt mit anderen, in Armbeuge oder auf Taschentücher niesen oder husten, bei Krankheitszeichen zu Hause bleiben, usw.)

Die erste Eskalationsstufte beinhaltet allgemeine und einfach umsetzbare Punkte. Die Einschränkungen sind gering bis noch nicht vorhanden.

  • Eskalationsstufe II

    • Keine externen Termine mehr im Betrieb oder im Außen
    • Sämtliche internen Besprechungen absagen
    • Warenlieferungen nur gegen Anmeldung
    • Backuplösungen einplanen: Kürzlich pensionierte MitarbeiterInnen kontaktieren als Vorbereitung auf den worst-case
    • Home-Office da ermöglichen, wo sinnvoll darauf zurückgegriffen werden kann

Bei der zweiten Eskalationsstufe werden die Ablaufstörungen schon spürbarer, wenngleich die Leidensfähigkeit einer Organisation nur in sehr geringem Maße strapaziert wird. Alles wird der geringeren Exponierung des Unternehmens untergeordnet, der Betrieb weitestgehend von steuerbaren externen Einflüssen isoliert.

  •  Eskalationsstufe III

    • Körperliches Kontaktverbot (Berührungsverbot) und räumliche Abtrennung unterschiedlicher Unternehmensbereiche
    • Damit verbunden: eine Durchmischung von Abteilungen und räumlichen Unternehmensbereichen
    • Aufteilen der täglichen Arbeit durch versetzte Arbeitszeiten oder – wo rechtliche Rahmenbedingungen existieren – durch ein Schichtmodell in produktiven und administrativen Abteilungen, um den Kontakt in den abgetrennten Bereichen weiter zu verringern.

Nun werden die Störungen unübersehbar. Die räumliche Abtrennung sieht vor, zwischen einzelnen Unternehmensbereichen (zum Beispiel: Stockwerken) Trennwände einzuziehen, um damit das Kontaktrisiko zu minimieren. Wenn auch nicht bestätigt so ist dies doch eine Möglichkeit, um eine Betriebsschließung durch „nur“ eine Abteilungsschließung abzufedern.

Um das Risiko weiter zu verringern ist es möglich, Abteilungen (u.a.: Vertrieb, Buchhaltung, u.a.) weiter aufzuteilen und die MitarbeiterInnen Arbeitsplätze in unterschiedlichen Stockwerken zuzuweisen. Im Quarantänefall wird so nicht das gesamte Personal einer Abteilung unter Quarantäne gestellt, sondern eben „nur“ ein einzelnes Stockwerk. Ergänzt um Home Office-Lösungen kann so Risiko minimiert werden, während die Prozesse weiterlaufen können.

Last but not least können die MitarbeiterInnen einzelner Bereiche während der täglichen Arbeitszeit wie erwähnt auch zeitlich voneinander getrennt werden. So würde im Quarantänefall zumindest nur ein Teil der Abteilung ausfallen. Dies ist durch weitestgehend in Arbeitsverträgen vorhandene Klauseln möglich. Es sieht aber vor, dass im Führungs- und Expertenbereich eine Stellvertreterlösung besteht, um zu jeder Zeit dieselbe Expertise zur Verfügung stellen zu können. Auch gehen hier aufgrund der Beschränkungen wertvolle Arbeitsstunden verloren und es mag komisch anmuten.

  • Eskalationsstufe IV

    • Beiderseitige Vereinbarungen mit den MitarbeiterInnen treffen, um Urlaub zu konsumieren und Zeitausgleich in Anspruch zu nehmen im Allgemeinen bzw. für bestimmte Personengruppen (Ü60) im Besonderen

Die vierte und letzte mögliche Eskalationsstufe konzentriert sich ausschließlich auf die tatsächliche Schadensvermeidung. In diesem Fall wird die Kapazität konkret eingeschränkt, indem MitarbeiterInnen ohne die Möglichkeit einer Home-Office-Lösung zu Lasten der Kapazitäten beurlaubt werden, um Urlaub abzubauen und das persönliche Risiko zu vermeiden. Auch die Verordnung von Zwangsurlaub für die Risikogruppe Ü60 dient ausschließlich gesundheitlichen Aspekten.

Per heute, den 17.03.2020, befinden wir uns mit der alge electronic bei Eskalationsstufe III. Wir haben den Betrieb in unterschiedliche Bereiche abgetrennt und die Abteilungen durchmischt, eine mögliche versetzte Arbeitszeit ist in Planung, jedoch noch nicht in Umsetzung.

Was wir darüber hinaus getan haben, ist, die Geschäftsleitung aufzusplitten. Als Geschäftsführer (Marc Albin Alge, Anm.) habe ich einen Arbeitsplatz in einem abgetrennten Bereich eingerichtet, um Fragen unserer MitarbeiterInnen beantworten zu können und räumlich abgetrennt von unserem zweiten Geschäftsführer, meinem Vater, zu arbeiten. Damit wollen wir verhindern, dass unsere komplette oberste Entscheidungsebene im Krisenfall kollektiv außer Kraft gesetzt wird.

Aussicht

Neben all den aktuellen Fragen rund um die unmittelbaren Auswirkungen einer Virusepidemie, von der niemand abschätzen kann, wie lange sie dauern wird, sind auch die mittelfristigen Folgen für ein Unternehmen noch schwer abschätzbar.

Gehen wir davon aus, dass diese Situation länger anhält, ist es umso wichtiger, mit Ruhe, Vernunft und Weitsicht tagtäglich die Situation neu zu bewerten. Klar ist: Risikofälle und die Minimierung von Risiko haben Vorrang. Klar ist aber auch: ein allgemeines Wirtschaftsshutdown schadet uns allen.

Wer langen Atem beweist, wird kaum mit einem Sprint starten. Entsprechend besonnen muss mit Panikmeldungen umgegangen werden sowie deren Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung abgeschätzt werden um auch die Arbeitsplätze im Unternehmen zu sichern.

Denn sollten sich die trüben Aussichten kurzfristig zum besseren verändern, ist es wichtig, auf ein eingespieltes Team zurückzugreifen, das seinen Führungspersonen auch in der Krise berechtigterweise vertrauen konnte.

Marc Albin Alge ist Geschäftsführer der alge electronic gmbh, eines Produzenten individueller elektronischer Steuerungen in dritter Generation in Lustenau, Vorarlberg. Das Unternehmen blickt auf eine 50-jährige Bestehensgeschichte zurück und beschäftigt aktuell mehr als 50, vielfach langjährige MitarbeiterInnen.

Alfred Essenwanger ist studierter Sportwissenschaftler, Unternehmer, Führungscoach und Autor (Führung im Original – 12 Faktoren für erfolgreiche und gesunde Führung.  ISBN 978-3-86623-587-8; erschienen im KREUTZFELDT digital Verlag, am 10. Januar 2018). Er lebt und arbeitet im Allgäu.

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